Über diese innovationspolitischen Leitlinien
Die Inhalte des vorliegenden Papiers wurden im aktuellen Hightech-Forum von den Mitgliedern, Prof. Dr. Dr. Andreas Barner, Prof. Dr. Antje Boetius, Dr. Martin Brudermüller, Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka, Prof. Dr. Anke Hassel, Prof. Dr. Katharina Hölzle, Prof. Dr. Sabina Jeschke, Dr. Marion Jung, Prof. Dr. Hanna Krasnova, Prof. em. Dr. Wolfgang Lücke, Prof. Dr. Patrizia Nanz, Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Johannes Oswald, Prof. Dr. Dr. Manfred Prenzel, Frank Riemensperger, Julia Römer, Prof. Dr. Günther Schuh, Prof. Johannes Vogel, Ph.D., Prof. Dr. Birgitta Wolff und Prof. Dr. Christiane Woopen, beraten und verabschiedet. Das Papier soll zur Diskussion der Leitlinien anregen. Die dargelegten Positionen geben die im Hightech-Forum beratenen Inhalte wieder. Sie geben nicht notwendigerweise die Meinung der Bundesregierung wieder. Die innovationspolitischen Leitlinien wurden von den genannten Mitgliedern im Hightech-Forum im Frühjahr 2020 erstellt und am 10. Juni 2020 veröffentlicht.
Über das Hightech-Forum
Das Hightech-Forum ist das zentrale Beratungsgremium der Bundesregierung zur Umsetzung der Hightech-Strategie 2025. Seine Aufgabe ist es, die Forschungs- und Innovationspolitik mit konkreten Handlungsempfehlungen zu begleiten. Die Mitglieder des Hightech-Forums wurden im Jahr 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Zeitraum der aktuellen Legislaturperiode berufen. Sie üben ihre Funktion ehrenamtlich neben ihrer beruflichen Funktion aus. Co-Vorsitzende des Gremiums sind Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Christian Luft. Als Treuhänder für die Bundesregierung nimmt der Staatssekretär die Beratungsergebnisse stellvertretend für die Bundesregierung entgegen.
Die Geschäftsstelle des Hightech-Forums unterstützt die Vorsitzenden und Mitglieder des Hightech-Forums in ihrer Gremienarbeit und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Die Geschäftsstelle ist bei der Fraunhofer-Gesellschaft angesiedelt.
Redaktionsschluss
8. Juni 2020
23. Juni 2020 13:56 Kommentar von Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende
Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende, 23. Juni 2020
Kommentierung von „Hightech Forum: Innovationspolitik nach der Corona-Krise: Sieben Leitlinien für neues* Wachstum“
Generell: Gutes Leben statt „neues* Wachstum“
Die vom Hightech-Forum (HTF) veröffentlichten „Innovationspolitischen Leitlinien“ bleiben weit hinter den Möglichkeiten zurück. Die Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende fordert mehr Mut zu einer zukunftsfähigen Innovationspolitik unter Beteiligung der Zivilgesellschaft.
Neue Wohlstandskonzepte statt „neues Wachstum“
Die Leitlinien offenbaren bereits im Titel ein grundlegendes Manko des HTF: Die zivilgesellschaftliche Perspektive fehlt. Das Hightech-Forum begibt sich auf den richtigen Weg, indem es den gesellschaftlichen Wohlstandsbegriff (im Papier: „neues* Wachstum“) im Grundsatz fortentwickelt. Wachstum und Innovation sind kein Selbstzweck, vielmehr gilt es, sie an der Sicherung des Wohlergehens aller Menschen zu messen. Wenn soziale und ökologische Gesichtspunkte künftig im Zentrum eines neuen Wohlstandsbegriffes stehen sollen, müssen gesellschaftliche -Perspektiven verbindlich einbezogen werden.
Das vom Hightech-Forum proklamierte ‚neue Wachstum‘ bleibt bisher in alten Mustern stecken, statt ein neues Verständnis und neue Indikatoren für Wohlstand zu entwickeln. Wir brauchen zukunftsfähige Innovationen für eine sozial-ökologische Transformation und eine gesellschaftlich wünschenswerte Zukunft. Die Forschungspolitik und das Hightech-Forum leisten hierzu bislang keinen Beitrag.
Wenig Impulse für eine innovative Forschungspolitik
Das Hightech-Forum erkennt zu Recht, dass nachhaltige Gesellschaften besser mit Krisen umgehen können. Folgerichtig empfiehlt es die Entwicklung resilienter Wohlstandsmodelle und die Stärkung von Reallaboren, die hierzu beitragen können. Wir unterstützen ebenso den multilateralen Ansatz des Hightech-Forums, um Nachhaltigkeit auch in der Krise zu fördern und Global Commons zu schützen.
Wir brauchen eine Innovationspolitik für die Gestaltung der Zukunft
Die Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende fordert ein neues Verständnis des Innovationsbegriffs und eine Neuausrichtung der Forschungs- und Innovationspolitik auf eine sozial ökologische Transformation: Eine zukunftsfähige Innovationspolitik benötigt neue Schnittstellen, um den Nachhaltigkeitsdiskurs in die Technologieentwicklung langfristig zu integrieren. Der Erfolg der derzeitigen Innovationspolitik wird anhand von Patenten und Produkten gemessen – wir fordern ein Umdenken: Neue Indikatoren müssen den Impact auf die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und CO2-Reduktion abbilden. Eine zukunftsfähige Innovationspolitik erfordert einen Kompass und ein gesellschaftliches Forum, um gesellschaftlich wünschenswerte Zukünfte breit zu diskutieren und weiter zu entwickeln.
Nur mit einer wirklich innovativen Forschungspolitik heute können wir gemeinsam auf eine nachhaltige Zukunft hinarbeiten.
Zu Leitlinie 1 „In Wandel investieren.“
In den Wandel zu investieren, ist ein begrüßenswerter Ansatz. Jedoch stehen hier wiederum altbekannte Konzepte, wie der Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit, im Zentrum. Ein „Wandel“, der auf das Ziel der Nachhaltigkeit (innovationspolitisch) merklich einzahlt, ist in dieser Leitlinie kaum zu erkennen. Zur Bewältigung der vielfältigen Krisen, wie die Übernutzung der Erde als CO2-Senke, müssen Themen wie dezentrale Wirtschaftskreisläufe und erneuerbare Energien mit der Diskussion um Wohlstandskonzepte, öffentliche Güter und eine gemeinwohlorientierte Ökonomie in den neuen zukunftsfähigen Leitlinien verknüpft werden.
Neue Ansätze für einen Wandel des Forschungs- und Innovationssystems in Deutschland in Richtung Nachhaltigkeit sind eher spärlich gesät:
• Positiv ist die Verknüpfung von (Wissens)Transfer mit der „Entwicklung werteorientierter Geschäftsmodelle für eine nachhaltige Entwicklung“ und die Forderung nach verlässlichen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften. Dies setzt jedoch die Förderung der einer transdisziplinären nachhaltigen Forschung in angemessener Höhe voraus, um die notwendigen Erkenntnisse zu generieren. Die Entwicklung etwa von neuen Kraftstoffen kann hier vermutlich weniger beitragen als die Entwicklung von Mobilitätskonzepten für den ländlichen Raum. Die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften müssen daher ebenso forschungspolitische Perspektiven enthalten.
• Die Forderung, dass Konjunkturpakete „konsequent die Entwicklung tragfähiger Zukunftskonzepte für Industrien und Dienstleistungen fördern“ sollen, kann den vorgegebenen Zielen nur gerecht werden, wenn nicht allein auf ökonomische Wettbewerbsfähigkeit abgestellt wird. Die Industrie muss darin unterstützt werden, ihren CO2-Ausstoß wirkungsvoll zu senken und sich an die fluktuierende Produktion erneuerbarer Energien anzupassen. Hier ist eine innovative Forschungspolitik gefragt.
• Die Forderung nach weiterer Innovationsförderung in den Bereichen „Bio-, Nano- und Wasserstofftechnologien“, damit Deutschland nicht „ins Hintertreffen“ gerät, sollte die Technologieentwicklung in eine gesellschaftliche Diskussion einbinden: Die partizipative Technikfolgenabschätzung und die systematische Integration der Gesellschaft sind hier notwendig, um das Ziel der Nachhaltigkeit zu erreichen.
Zu Leitlinie 2 „Europa (be)leben.“
Dieser Punkt fokussiert auf allgemeinpolitische Debatten, wie die der Corona-Krise, der Digitalisierung und der Bedrohung nationalstaatlicher Souveränität und Sicherheit.
Die forschungspolitischen Aspekte kommentieren wir wie folgt:
• Die Empfehlung, das Forschungsrahmenprogramm trotz der Corona-Krise nicht zu kürzen, unterstützen wir. Jedoch sollten die vorhandenen Mittel noch stärker auf die hier anvisierten Ziele der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.
• Gerade bei sozialen Innovationen neue Modelle „zur gemeinschaftlichen Finanzierung“ durch Bürger*innen ins Spiel zu bringen, ist zumindest fragwürdig. Eine Erweiterung der Fördermaßnahmen und die Anerkennung von innovativen Finanzierungsmodellen, wie etwa Bürgerwindparks, ist zu begrüßen und sollte weiter unterstützt werden. Jedoch darf dies nicht zu einer Schieflage führen, bei der technische Innovationen mit monetären Erfolgsaussichten eine öffentliche Förderung erhalten, die den sozialen Innovationen vorenthalten wird. Soziale Innovationen, die ja gerade meist nicht profitträchtig sind, aber dennoch eine große Bedeutung für eine nachhaltige Gesellschaft haben, sollten umso mehr gefördert und mit der Forschungspolitik forciert werden – nicht nur auf europäischer Ebene.
• Soll Innovationspolitik in den Dienst von „strategische[r] Souveränität“ und der „Entwicklung von Leitmärkten für Zukunftstechnologien“ gestellt werden, so sollte der Fokus auf nachhaltigen Innovationen liegen – soziale wie technische Innovationen. Zudem genügt nicht, eine Technologie und ihre Anwendung ins Zentrum der Perspektive zu stellen. Wir benötigen auch eine Debatte darüber, welche Art von etwa Biotechnologie oder Digitalisierung wir fördern und erforschen wollen. So kann etwa ein reines Mehr an Digitalisierung nicht pauschal helfen, den „digital divide“ zu überwinden.
Zu Leitlinie 3 „Für die Zukunft (aus)bilden.“
Gute Bildung ist unbestritten ein elementarer Grundstein für eine nachhaltige und innovative Gesellschaft. Der Blick des HTF auf den Bildungsbereich ist widersprüchlich und greift zu kurz:
• Der Anerkennung der Chancenungleichheit in unserem Bildungssystem folgt kein (forschungspolitischer) Ansatz. Statt einer zu forcierenden Individualisierung der Probleme („Eigenverantwortung in lebenslangem Lernen, Selbstständigkeit“) bedarf es stärker einer individuellen Förderung, um das ebenso genannte Ziel der Resilienz auch wirklich zu erreichen, und vor allem Chancenungleichheit zu reduzieren.
• Darüber hinaus greift der Fokus auf eine mangelhafte Digitalisierung im Bildungsbereich oder die Forderung nach Bereitstellung digitaler Endgeräte zu kurz und lässt ebenso wenig forschungspolitische Innovationen erkennen. Hier fehlt eine breitere Perspektive, die zivilgesellschaftlichen Experten hätten einbringen können: etwa kleinere Klassen, mehr Unterstützung für Lehrkräfte und Eltern, mehr Lehrkräfte und weitere bildungspolitische Maßnahmen (sowie Forschungsdesiderate), um Chancengleichheit zu fördern.
• Ausgeblendet bleiben zudem die Debatten über die Bedeutung des Zusammenspiels von formalen mit nonformalen und infomellen Lernformaten und eines darauf bezogenen Aufbaus kooperierender „lokaler“ Bildungslandschaften. Die Bedeutung eines handlungsorientierten und erfahrungsbezogenen Lernens für die Ausbildung pro-demokratischer Werte und Haltungen wäre hier ebenfalls zentral zu adressieren.
Zu Leitlinie 4 „Zusammenhalt stärken.“
• Zwar zählt das HTF viele Bereiche auf, die „für Krisen nicht ausreichend gerüstet“ sind, verharrt aber wiederum weitgehend in der allgemeinpolitischen Debatte. Es greift zu kurz, nur nach „Innovationen für moderne Arbeitszeit-, Entlohnungs- und Führungsmodelle[n]“ zu suchen. Erforderlich sind vielmehr Forschung, Innovationen, kontinuierlicher Wissenstransfer und auch klare anwendungsorientierte Entwicklungshorizonte, um alle gesellschaftlichen Bereiche, auch den überraschend hier nicht genannten Gesundheitssektor, nachhaltiger und resilienter zu gestalten.
• Das HTF hebt richtig hervor, dass ein Umdenken in der Bevölkerung, wodurch „Chancengleichheit, Lebensqualität, Entschleunigung, längerfristiges Denken und nachhaltiges Wirtschaften“ als „die Eckpunkte eines erneuerten Narrativs für die soziale Marktwirtschaft“ betrachtet werden. Die Forschung kann dazu beitragen, dass dies nicht nur ein Narrativ bleibt, sondern Wirklichkeit werden kann. Die Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft im Zusammenhang mit einem wirklich neuen Wohlstandsverständnisses ist eine große Herausforderung.
• Insgesamt gilt es zudem das breite Feld der Zivilgesellschaftsforschung strategisch zu stärken.
Zu Leitlinie 5 „Beweglich und pragmatisch agieren.“
Wir schließen uns dem Lob für die Verwaltung und Wissenschaft für ihren Umgang mit der Corona-Krise an.
• Wir begrüßen auch die Hervorhebung und Stärkung von Reallaboren und Experimentierräumen, die das Hightech-Forum fordert, genauso wie die Veränderung hinderlicher Regularien für dieses Ziel. Dies ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll, um Praxiswissen besser in die Forschung einzubinden. Dementsprechend müssen diese Experimentierräume konsequent transdisziplinär umgesetzt werden.
• Unverständlich bleibt, warum das HTF einen Angriff auf die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) startet (nur zur Erinnerung: Der Dienstleister zoom hat in der Krise auf vielfache Kritik eine weitgehende Verschlüsselung eingeführt). Welche Hindernisse für Reallabore oder eine bessere Forschung hier bestehen, und inwieweit die hervorgebrachte Kritik zielführend für eine soziale Nachhaltigkeit oder die Innovationspolitik ist, bleibt leider im Dunkeln.
Zu Leitlinie 6 „Besser vorbereitet sein.“
• Das HTF erkennt richtig: „Je nachhaltiger Gesellschaft und Wirtschaft aufgestellt sind, desto besser werden sie mit diesen Herausforderungen [den vielfältigen Krisen der Vergangenheit und Zukunft] umgehen können.“ Statt nur verbesserter Modelle und Simulationen oder dem Aufbau von Redundanzen, ist ein Ansatz gefragt, der aufgreift, wie Forschung (mit echten Innovationen) dazu beitragen kann, Krisen auch zu verhindern oder zu beenden. Hier hat das HTF eine Leerstelle.
• Resilienz nur in Bezug auf notwendige Infrastrukturen und Lieferketten oder einen generellen Umgang mit Krisen zu denken, greift ebenso zu kurz. Forschungs- und Innovationspolitik sollte einen klar erkennbaren Beitrag dazu leisten, Krisen zu verhindern und zu beenden sowie die Gesellschaft als Ganzes resilienter zu machen.
Zu Leitlinie 7 „Global zu Lösungen beitragen.“
• Die Inhalte des Punktes sind weitgehend zu begrüßen: die Stärkung von internationaler Kooperation und multilateraler Absprachen, der Schutz globaler öffentlicher Güter, das Vorantreiben nachhaltiger Innovationen „selbst unter schwierigen Bedingungen“
• Leider leitet dieser Punkt wiederum mit der Wettbewerbsfähigkeit ein und nicht mit Nachhaltigkeit. Eine zivilgesellschaftliche Beteiligung im HTF hätte zu mehr Balance zwischen diesen beiden Zielen beitragen können.
• Dieser Punkt befasst sich als einziger weitgehend mit Forschungs- und Innovationspolitik, und könnte somit eine Vorlage für alle anderen sein, um wirkliche forschungspolitische Impulse zu setzen.
24. Juni 2020 12:20 Kommentar von Prof. Dr. Katharina Hölzle (Mitglied Hightech Forum)
Liebes Team Forschungswende, herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Antworten. Insgesamt sind wir vermutlich nicht so weit auseinander und wir würden uns freuen, mit Ihnen in einen konstruktiven Diskurs einzutreten, um insbesondere mehr über Ihre konkreten Ideen für die Gestaltung der Transformation zu erfahren.
24. Juni 2020 16:02 Kommentar von Manfred Ronzheimer, Journalist
Bei diesem konstruktiven Dialog würde ich ja gerne Mäuschen spielen
23. Juni 2020 8:05 Kommentar von Dr. Nicolas Krink - German Association for Synthetic Biology - GASB e.V.
HIGHTECH FORUM
Innovationspolitik nach der Corona-Krise:
Sieben Leitlinien für neues Wachstum
Kommentar
Dr. Nicolas Krink
German Association for Synthetic Biology – GASB e.V.
Wir teilen die gesamte Einschätzung des Hightech-Forums (HTF), dass sich durch die globale COVID-19 Pandemie hervorgerufene Rezession und die daraus resultierenden Gegenmaßnahmen (Konjunkturpakete, Staatsbeteiligungen, usw.) Chancen für eine Neuausrichtung wirtschafts- und innovationspolitscher Entscheidungen ergeben.
Der folgende Kommentar wurde durch Dr. Nicolas Krink, Vorstandsvorsitzender der German Association for Synthetic Biology – GASB e.V., in Abstimmung mit dem gesamten Vorstand, formuliert. Für Rückfragen steht Ihnen Dr. Nicolas Krink gerne zur Verfügung.
Zu den Leitlinien im Detail folgend:
1: In Wandel Investieren
Die kluge Investition in Zukunftstechnologien sollte Kernziel aktueller und zukünftiger finanzpolitischer Maßnahmen sein. Investitionen im Bereich der Forschungspolitik sollten das 3,5–Prozentziel bis 2025 deutlich überschreiten, da unsere nationalen Wertschöpfungsketten in Zukunft noch stärker auf Forschung und Entwicklung basieren werden. Neben dem BMBF sollten auch andere Bundesministerien, mit dem jeweiligen Profil, eine aktivere Rolle in der Forschungsförderung anstreben. Diese Herangehensweise lässt sich bereits in den USA beobachten, z.B. durch das Joint BioEnergy Institute – JBEI, welches durch das U.S. Department of Energy gefördert wird. Insgesamt vermissen wir die besondere Relevanz der Bioökonomie, sowohl in dieser Leitlinie als auch in den folgenden. Der Synthetischen Biologie als Weiterentwicklung der Biotechnologie kommt hierbei eine Schlüsselrolle zuteil, sowohl bei der Medikamentenentwicklung als auch bei dem Umbau der Gesamtindustrie zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Das durch das HTF empfohlene Instrument der CO2-Bepreisung sollte auch zur aktiven Steuerung und Förderung regenerativer und zirkulärer Prozesse genutzt werden, bei welchen biotechnologische Ansätze eine herausragende Rolle spielen werden. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass nur aus fossilen Rohstoffen freigesetztes CO2 von einem CO2 Preis betroffen wäre. Bei Investitionen sollten besonders fachübergreifende Ansätze (z.B. zwischen Automatisierung/Digitalisierung und Biotechnologie) bedacht werden, wie zum Beispiel am Center for Biosustainability an der Dänischen Technischen Universität (DTU). Des Weiteren sollten Investitionen stärkere Anreize bieten, aktuelle Forschungsergebnisse in die Wirtschaft einzubringen als auch industrierelevante Projekte in der akademischen Forschung anzusiedeln. Ziel sollte es sein, nicht nur in die Technologie von Morgen zu investieren, sondern aktiv die Technologie für Übermorgen zu fördern, damit Deutschland seine Spitzenreiterposition weiter auf- und ausbauen kann.
2. Europa (be)leben
Wir unterstützen vollumfänglich die Ansicht des HTF, dass die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft zur Stärkung und (Wieder)belebung der EU nutzen sollte. Forschungsförderung, gerade im Bereich der Biowissenschaften, sollte zentraler Bestandteil jedes Investitionsprogramms sein, da es das Fundament für unsere zukünftigen Wirtschaftsleistungen ist. Ein Ausbau Europäischer Forschungsinstitute und Forschungsvorhaben ist essentieller Bestandteil der europäischen Integration (z.B. im Bereich der Synthetischen Biologie gemeinsame Strategien zum Bau einer synthetischen Zelle). Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Förderdauer aller europäischen Forschungsprogramme um mindestens 6 Monate verlängert wird. Dies würde die europäischen Wissenschaftler in die Lage versetzen, den durch den Lock Down und die Abstandsregeln im Labor verlorenen Forschungsfortschritt aufzuholen und Projekte erfolgreich zu Ende zu bringen. Neben Digitalstrategien sollte Biotechnologie auch in strategischer Hinsicht gestärkt werden, dies bedarf den Aufbau von Infrastruktur, als auch neue Rechtssicherheit für moderne Methoden. Der durch das HTF angesprochene (Wieder-)Aufbau von strategisch relevanter Produktion kann durch biotechnologische Verfahren beschleunigt und erweitert werden. Die zum Teil rohstoffunabhängige biotechnologische Produktion hat große Chancen für Regionen in der EU, welche bisher ihr wirtschaftliches Potenzial noch nicht komplett entfalten konnten.
3. Für die Zukunft (aus)bilden
Wir stimmen dem HTF für Leitlinie 3 voll und ganz zu. Ein kostenloser und barrierefreier Zugang zu Bildung sollte EU weit garantiert werden, wobei die Digitalisierung von Bildungsangeboten eine Schlüsselrolle hat. Für die zukünftige (Aus-)Bildung sollte gerade für die akademische Lehre ein intensiver Dialog mit der Industrie gesucht werden, damit die nächste Generation zweckbezogen ausgebildet werden kann. Dies gilt besonders im Bereich von Zukunftstechnologien wie der Synthetischen Biologie. Wir würden ein Bologna Konzept für eine flexible digitale Universität zur Ausbildung in Zukunftstechnologien sehr begrüßen.
4. Zusammenhalt stärken
–
5. Beweglich und pragmatisch agieren
Wir stimmen mit dem HTF in diesem Punkt voll überein. Die durch COVID-19 forcierte Verlassung der Komfortzone (z.B. Videokonferenz) sollte in die jeweilige Unternehmenskultur übernommen werden. Insgesamt sollten wir als Gesellschaft, Neuerungen positiver gegenüberstehen und in unserem jeweiligen Handeln von Pragmatismus leiten lassen. Die COVID-19 Pandemie hat gezeigt, dass größere gesellschaftliche Neuausrichtungen in kürzester Zeit erreicht werden können. Dieser Impuls sollte auch für herausfordernde essentielle Zukunftsaufgaben (z.B. Klimawandel, Umstrukturierung hin zur Bioökonomie) genutzt werden. Durch erhöhte finanzielle Anstrengungen und eine Einbindung der Bevölkerung haben wir gelernt, dass wir den kommenden Herausforderungen mit einem erhöhten Optimismus begegnen können und notwendige gesteckte Ziele erreichen können.
6. Besser vorbereitet sein
Auch hier stimmen wir mit dem HFT überein. Ergänzend wäre eine nationale, europaweit miteinander vernetzte Kompetenzdatenbank der Bürger von großem Vorteil, in welcher sich Bürger mit ihren jeweiligen Expertisen und Fähigkeiten (z.B. Laborerfahrung) freiwillig eintragen können. Dies ermöglicht den schnellen Zugriff auf Ressourcen in Krisensituationen.
7. Global zu Lösungen beitragen
Die globale Vernetzung im Bereich von Forschung ist essentiell für die Wissenschaftsgemeinschaft, als auch für die Synthetischen Biologie. Gerade in der noch anhaltenden globalen Pandemie sollten zusätzliche Fördermittel für digitale Konferenzen initiiert werden, da die Refinanzierung digitaler Veranstaltungen durch schwankende Teilnehmerzahlen und geringerem Sponsoring Interesse deutlich erschwert ist.
24. Juni 2020 12:22 Kommentar von Prof. Dr. Katharina Hölzle (Mitglied Hightech Forum)
Lieber Herr Dr. Krink, herzlichen Dank für Ihre Kommentierung und die wertvollen Impulse. Wir nehmen diese gerne bei der heutigen Diskussion mit auf und würden uns freuen, mit Ihnen im Austausch zu bleiben.
22. Juni 2020 20:19 Kommentar von Prof. Dr. Rudi Kurz, BUND AK Wirtschaft und Finanzen
„Leitlinien“ des Hightech-Forums bieten keine Orientierungshilfe für zukunftsfähige Innovationspolitik
Die Corona-Krise war zunächst eine Herausforderung für kurzfristiges Krisenmanagement und für Nachfragestabilisierung. Angesichts von Staatsausgaben und Staatsverschuldung in Milliardenhöhe ist es unabdingbar, diese jetzt mit längerfristig angelegte Zukunftsstrategien zu verbinden. Ein wesentlicher Teil des Umschaltens auf nachhaltiges Wirtschaften ist die Innovationspolitik. Sind hier die richtigen Weichenstellungen vorgenommen bzw. welche Modifikationen sind angesichts der Corona-Erfahrungen erforderlich? Die „Leitlinien“ des HTF wollen dafür Orientierungshilfe geben. Das gelingt allerdings nicht, weil dem HTF selbst ein verlässlicher Kompass fehlt.
1 Strategische Orientierung: Neues Wachstum?
Irritierend und irreführend ist die Präambel, die den sieben Leitlinien vorangestellt ist. Dort wird ein „Neues Wachstum“ propagiert – dem Innovationspolitik als Instrument dienen sollte. Bei der Erläuterung des „Neuen“ wird auf „Entwicklung in Richtung soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit“ verwiesen. Neue Begrifflichkeiten wie „Neues Wachstum“ oder gar der Rückgriff auf das tradierte „qualitative Wachstum“ erweisen sich als wenig hilfreich oder gar irreführend. Das Narrativ und die Herausforderung ist durch die Nachhaltigkeitsziele formuliert – vom Klimaschutz bis zum Artenschutz und zur sozialen Gerechtigkeit. Es geht weder um altes noch um neues Wachstum. Die Herausforderung lautet: Innovationspolitik auf Nachhaltige Entwicklung und auf den dafür erforderlichen Transformationsprozess in den nächsten zwei Jahrzehnten auszurichten. Also dringende Empfehlung an das HTF: „Neues Wachstum“ streichen.
Das HTF empfiehlt, „das Instrument des CO2-Preises“, allerdings ohne jeglichen Bezug zum Klimapaket und dem vorgesehenen Einstiegspreis von 25 € pro Tonne. Da der CO2-Preis wichtiger Innovationstreiber sein könnte, würde man sich hier vom HTF eine klare Nachbesserungsforderung erwarten (z.B. 50 € / t CO2 Einstiegspreis mit ambitioniertem Erhöhungspfad).
In einem Halbsatz erwähnt das HFT die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (DNS 2016). Es wird aber versäumt eine systematische Verbindung zu dieser Leit-Strategie herzustellen, der die Hightech-Strategie letztlich nachgeordnet ist und zuarbeiten müsste.
2 Fokus Investitionen
Grundsätzlich richtig ist die Empfehlung an die Bundesregierung, von der Nachfragestimulierung durch Konsumanreize (z.B. MwSt-Senkung, „Innovationsprämie“ für Autokauf) umzuschalten auf Investitionen und Investitionsförderung (Leitlinie 1). Allerdings bleiben die Leitlinien sehr vage und fragwürdig:
a) Es wird eine undifferenzierte Unterstützung für deutsche und europäische „Konjunkturpakete“ gegeben; einziger milder Vorbehalt: „die Belastung zukünftiger Generationen darf nicht aus dem Blick geraten.“
b) Es wird eine Ausweitung der Rolle des Staates gefordert, eine „umfangreiche Innovationsförderung“, die „Anwendung und Skalierung“ umfasst und den „Ausverkauf“ von innovativen Unternehmen und Start-ups verhindern soll.
c) Bei den „Zukunftsfeldern“ werden nur die üblichen Verdächtigen genannt – von der Nano-, über die Bio- bis zur Wasserstofftechnologie, ohne dass auf Nachhaltigkeitsrisiken eingegangen wird.
Es fehlt eine ganzheitliche Sicht auf die Verwendung der knappen öffentlichen Mittel. Angesichts signifikanter Mängel müssen diese zunächst für öffentliche Investitionen verwendet werden, insbesondere für die Modernisierung des Schul- und Hochschulsystems. Das Vertrauen in staatliche Industriepolitik erscheint überzogen. Zwar hat der Staat eine wichtige Rolle im Krisenmanagement gespielt und wird auch zukünftig in der Krisenprävention und in der Gestaltung von Transformationsprozessen wichtig sein, aber der Hinweis in Leitlinie 4 sollte mit Leitlinie 1 in Verbindung gebracht werden: „nach massiven staatlichen Eingriffen“, ist die Stärkung der Eigenverantwortung und gesellschaftlichen Initiative wichtig ist. Besonders problematisch ist, dass Innovationen für Nachhaltige Entwicklung in den Leitlinien auch weiterhin zu sehr auf einzelne Technologien verkürzt und die Notwendigkeit und das Potential von sozio-kultureller und institutioneller Innovation weitgehend übersehen wird (marginale Ausnahme: integrierte Simulationsmodelle in Leitlinie 6).
3 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft neu denken
Das wichtigste Feld der gesellschaftlichen und institutionellen Innovation wird in Leitlinie 4 umrissen: „Zusammenhalt stärken“ (Investition in das Sozialkapital) wird auch im Wissenschaftssystem weit mehr Aufmerksamkeit und Forschungsinput erfordern. Das müsste in den Leitsätzen klar formuliert werden. Dazu gehören zwei Aspekte, die das HTF zu Recht hervorhebt:
a) Reform des Steuer- und Abgabensystems, Entlastung des Faktors Arbeit. Das wirft die Frage auf, welcher Faktor dann mehr belastet werden soll. Hier wäre das Konzept der Ökologischen Finanzreform aufzugreifen.
b) Die fortbestehende Fixierung auf das BIP führt zu Fehlorientierung (mismeasuring our future) und zu politischen Fehlentscheidungen. Daher besteht zu neuen Messkonzepten, „alternativen Wohlstandsindikatoren“ weiterhin dringlicher Forschungs- und Umsetzungsbedarf.
4 Global zu Lösungen beitragen
Leitlinie 7 geht zutreffend von der Feststellung aus, dass die Corona-Krise die Weltgemeinschaft gleich in mehrfacher Hinsicht zurückwirft. Die zentralen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, werden allerdings verkannt:
a) Zunächst gilt es, der globalen Verantwortung durch nachhaltiges Wirtschaften im Inland gerecht zu werden. Beispiel Klimaschutz: Wenn Dekarbonisierung global bis 2050 erreicht sein muss, dann muss das Klimaschutzziel für Deutschland deutlich angepasst werden (auf 2040). Gleiches gilt für Arten- und Flächenschutzziele sowie für Energie- und Rohstoffverbrauch (Halbierung).
b) Die Corona-Krise hat deutlich die Abhängigkeit Deutschlands von Problemlösungen in anderen Teilen der Welt gezeigt, von denen wir uns nicht abschotten können (allein schon wegen der Export- und der Importabhängigkeiten). Das erfordert einerseits eine kritische Überprüfung der globalen Verflechtungen und andererseits mehr Transfer von (technologischen) Lösungen und von Finanzmitteln, d.h. letztlich eine höhere Abgabenbelastungen im Inland (z.T. lediglich Internalisierung externer Kosten etwa des Abbaus von Seltenen Erden).
c) Innovative institutionelle Lösungen (Rahmenbedingungen) für nachhaltige Entwicklung umfassen sowohl Lieferkettengesetze als auch Handelsabkommen, die Umwelt- und Sozialstandards unterstützen.
5 Fazit und Gesamtbewertung
Erstaunlich ist, dass die in der Präambel aufgeführten Corona-Erfahrungen keinerlei Auswirkungen auf den Innovationsbegriff und die Neu-Ausrichtung der Innovationspolitik haben. Ganz offensichtlich sind (fast) alle entscheidenden Faktoren in der Krisenbewältigung sozialwissenschaftlicher Natur, verlangen gesellschaftliche und institutionelle Innovationen. Irreführend ist, dass die Hoffnung auf ein (neues) Wachstumswunder genährt wird, statt Wirtschaft und Gesellschaft auf eine nachhaltige Entwicklung und Resilienz auch ohne Wachstum vorzubereiten (Wachstumsunabhängigkeit). Hier geht es allerdings weniger um Hightech-Lösungen als um sozio-ökonomische Transformation – und um den kontrollierten Einsatz von Technologie in diesem Kontext (z.B. Digitalisierung).
Insgesamt zeigt sich auch hier, dass konzeptionelle Defizite aus der Vor-Corona-Zeit nicht verschwunden sind, sondern unter erschwerten Bedingungen fortbestehen. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie führt ein Schattendasein und steht unverbunden neben vielen anderen „Strategien“ – wie der Hightech-Strategie und als jüngstes Kind in der Familie nun der Wasserstoffstrategie. Das Zusammenfügen dieser Puzzleteile ist die fortbestehende politische Herausforderung aber auch die Aufgaben von Wissenschaft und Forschung.
22. Juni 2020 14:14 Kommentar von Prof. Dr. Jürgen Howaldt, TU Dortmund
Die Corona-Krise bietet die Chance zur einer Neuausrichtung der Innovationspolitik. Zahlreiche Ansätze hierzu sind in den letzten Jahren national und international bereits entwickelt und in Programmen und Konzepten umgesetzt worden (vgl. hierzu den Atlas of Social Innovation: https://www.socialinnovationatlas.net/). Die vom Hightech-Forum vorgelegten Leitlinien enthalten viele wichtige Aspekte für eine Neuausrichtung der Innovationspolitik nach der Corona-Krise. Aus meiner Sicht wäre es aber notwendig, das „Neue“ stärker in den Vordergrund zu rücken. Im Mittelpunkt der Debatte sollte dabei ein erweitertes Innovationsverständnis stehen, welches die Verengungen eines wirtschaftlich-technologisches Innovationskonzeptes überwindet und durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:
– Klare Ausrichtung der Innovationspolitik auf die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen und die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der UN
– Zusammenführen von technologischen und sozialen Innovationen als Grundvoraussetzung für die Erreichung der innovationspolitischen Ziele
– Öffnung des Innovationsprozesses hin zur Gesellschaft und umfassende Nutzung der Potenziale der gesamten Gesellschaft bei der Entwicklung und Verbreitung von Innovationen
Legt man/frau ein solches umfassendes Innovationsverständnis zugrunde, so hat dies Auswirkungen auf die Schwerpunktsetzungen einer neuen Innovationspolitik nach der Corona-Krise.
Um den Ansprüchen einer Neuausrichtung der Innovationspolitik gerecht zu werden, ist die Entwicklung von umfassenden Ökosystemen sozialer und technologischer Innovation sowie der Aufbau von Infrastrukturen und Förderprogrammen im Bereich sozialer Innovation unerlässlich. Ebenso wie technologische Innovationen erfordern soziale Innovation Ressourcen und Strukturen, um ihr Potenzial entfalten zu können. Dabei ist insbesondere die Einbindung von Akteuren aus der Zivilgesellschaft eine große Herausforderung und Chance.
Auch die Wissenschaft sollte – unter Nutzung der Erfahrung im Bereich technologischer Innovationen und der Kooperation mit Wirtschaft und Politik – stärker in die Entwicklung und Diffusion sozialer Innovation eingebunden werden. Ohne die umfassende (!) Nutzung der Potenziale der Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden die großen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht bewältigt werden können. Während in den letzten Jahren erfolgreiche Kooperationen mit der Wirtschaft und Politik entwickelt wurden, ist eine stärkere Zusammenarbeit mit den vielfältigen Akteuren der Zivilgesellschaft zukünftig von großer Bedeutung.
Dabei sollte Innovationspolitik sich zukünftig auf die Entwicklung solcher Technologien und sozialer Praktiken fokussieren, die einen wirksamen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation von soziotechnischen Systemen und gesellschaftlichen Praktiken leisten können.
22. Juni 2020 13:26 Kommentar von Georg Kääb, Sprecher Arbeitskreis der BioRegionen in Dtschl
Generell liest sich das Papier übersichtlich und in sich stimmig. Wenn man in jedem einzelnen Punkt in die Tiefe geht, stellen sich jedoch ganz grundsätzliche Hürden in den Weg, die das „heutige Europa“ kennzeichnen. Ein im Papier unausgesprochen vorausgesetztes „gemeinsames europäisches Handeln“ gibt es also derzeit gar nicht. Auf diese „Schwachstellen“, die wohl leider in der Realität die wahren Herausforderungen sind, hier nur einige vereinzelte, branchenlastig-subjektive Hinweise aus der Biotechnologie-Welt.
zu 1. Investieren in Wandel: ein grundlegendes Problem sehe ich ganz persönlich in einer (gutgemeinten) staatlichen Innovationspolitik, die sich inhaltlich versteht. Wandel kann nicht staatlich geplant werden, Innovation kann so nicht geplant werden. Im Gegenteil müssten die europäischen Staaten inhalts- und ergebnisoffen die „Möglichkeiten“ für Innovation verbessern. Keine Agentur für Sprunginnovation wird jemals das nächste smart-phone erfinden, Menschen erfinden solche Dinge unabhängig von Institutionen und Agenturen. Also: Priorisierung auf exzellente, freie Forschung, die nicht einmal vorgeben muss, das nächste große Problem zu lösen.
Ebenso stört mich, ganz persönlich, die politische Eingriffsverstärkung auf Unternehmen. Unter dem Thema „Maßnahmen gegen Ausverkauf“ werden hier neue Hürden und Schreckgespenster für Investoren aufgebaut, die (gerade in der international verwobenen Innovationsbranche Biotechnologie) das private Geld in andere Länder wird fließen lassen. Der Bundes-Einstieg bei Curevac ist dabei ein wirtschaftspolitisches no-go, man hätte privaten Investoren den Einstieg so hochattraktiv wie möglich machen sollen, den deutschen Lebens- und Rentenversicherern etwa, die händeringend nach besserer Rendite und Verzinsung suchen, warum muss das der Staat machen? Schwierig ist dabei auch das Signal als solches, will sich „der Staat“ etwa hier auch irgendwie „bereichern“, wenn es mit dem Unternehmen an die Börse geht und alles super läuft? Credo: mehr Räume, Incentives etc schaffen, damit Private oder Institutionen auch in Innovation (und damit in Risiko) investieren, nicht der Staat selbst.
zu 2.: Europa (be)leben, zeigt es in der Überschrift deutlich: wie sehr wird Europa eigentlich wirklich gelebt? Zu häufig wird inner-europäisch ein Verteilungswettbewerb geführt, der den Kontinent insgesamt zum globalen Wettbewerb ins Hintertreffen geraten lässt. Beispiel: Steuererleichterungen bei Firmenansiedlung in unterschiedlichen Ländern – Deutschland sagt nein, die Benelux-Staaten sagen ja, Österreich bietet so etwas an etc… – es gibt also einen Wettbewerb mit Steuervorzügen in „einem Europa“. Ein Investor kann damit einer Firmengründung nur raten den best-subventionierten Ort auszuwählen, Länder, die in diesem Bieterwettbewerb gar nicht mitmachen haben ganz schön schlechte Karten. Aus Staaten in den USA haben unterschiedliche Steuertarife? Ja, der Delaware-Flip führt dann zu solch schönen Startups wie sie Herr Amthor kennenlernen durfte…, will man das wirklich? Also: die Überschrift des 2. Punktes muss besonders dick geschrieben werden, Europa muss endlich als eine Einheit „gelebt“ werden. Nur dann kann man auch als „europäische Region“ in den globalen Wettbewerb auf Augenhöhe einsteigen – und sich darin wacker zu schlagen versuchen. Ähnlich wie bei Corona: kein einziges europäisches Land wird zukünftig den Wettbewerb gegen USA, China, Asien im weiteren Sinne… gewinnen können, nur gemeinsam.
zu 4.: das führt direkt zum europäischen Zusammenhalt und einem weiteren aktuellen Bezugspunkt aus den Nachrichten als reality-check zu den 7 Leitlinien. Wie kann es sein, dass in der deutschen Fleischindustrie Bewohner anderer europäischer (!) Staaten (Rümanen, Bulgaren…) hemmungslos ausgenutzt werden und man dazu noch „Europa“ überhaupt zu sagen wagt? Gilt für die Bauindustrie und viele andere Bereiche der produktiven Arbeitswelt sicherlich genauso, aber es geht eben nicht nur um einen europäischen Markt, sondern um einen europäischen Werte-Raum – sonst gibt es überhaupt kein Europa und man braucht diesem Bild auch nicht weiter nachlaufen.
zu 5.: Beweglichkeit. Dies ist absolut richtig und wichtig, denn, es geht schlicht um Geschwindigkeit (bei aller gebotenen Gründlichkeit sowie Wahrung von ethischen Grundsätzen, klar). Aber gerade hier würde ich mir von so honorigen AutorInnen der Leitlinien mehr Konkretes wünschen, wie denn gerade in der Forschungs- und Innovations-Förderung „Beweglichkeit“ besser ermöglicht werden kann. Es geht ja nicht um neue Beweglichkeits-Agenturen, oder einen „Rat für Agilität“, sondern die „Freiheit der Forschung“ (und ausdrücklich auch die Forschung in Unternehmen!) auch einmal „laufen“ zu lassen und ggfls erst nach Erprobungsphasen mit der Regulierung anzusetzen, nicht andersherum. Gerade im Bereich Gesundheit müssen mehr Freiräume rechtlich her aber auch mehr Freiräume schaffende Finanzierung von „proof of concept“-Experimenten. Und: Deutschland kann sich hier (gerade wenn es um Innovationen geht) nicht auf den 16-teiligen Föderalismus zurückziehen, sondern muss die Länder ggfls mit etwas Speck oder leichtem Zwang zu einem wahren „FöRderalismus“ über die Landesgrenzen bewegen, der beispielsweise auch die Daten-Forschung aus dem Landeskorsett befreit bekommen muss.
18. Juni 2020 16:52 Kommentar von Dr. Petra Sitte MdB
Die sieben Leitlinien für neues* Wachstum nach der Corona-Krise heben sich sehr positiv dadurch hervor, dass sie die oft zu beobachtende Engführung des Innovationsbegriffs vermeiden und technischen in gesellschaftlichen Fortschritt einbetten. Unsere Welt stand auch schon vor der Pandemie vor großen und neuartigen Herausforderungen, die neue wissenschaftliche Einsichten ebenso erfordern wie neue technologische Pfade, aber auch gesellschaftliche Organisationsformen. Denn es geht, wie in den Leitlinien zurecht festgestellt wird, letztlich um Bedarfe und Anforderungen unserer Gesellschaft, deren Erfüllung werteorientiert geschehen muss. In diesem Sinne sollte die soziale Innovation künftig stärker mit in den Blick von Forschungs- und Innovationspolitik genommen werden. Im Bereich der social entrepreneurship entstehen zwischen Staat und Markt Konzepte und Akteure, die bei der Bearbeitung der großen und kleineren Menschheitsaufgaben, vor denen wir stehen, neue Lösungen anbieten. Unsere Welt befindet sich im Wandel. Den treiben Innovationen und Hightech voran, müssen auf ihn aber auch reagieren. Bei dieser laufenden Vermittlung spielen soziale Innovationen und Unternehmen eine wichtige Rolle, die es zu erkennen und anzuerkennen gilt.
18. Juni 2020 14:13 Kommentar von DGWF e. V.
DGWF-Kommentar zu Leitlinie 3
Die wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen trägt seit langem maßgeblich und unter Einsatz von Online-Lehre bzw. Fernstudienangeboten zu einer lebensbegleitenden Erweiterung von Wissen, fachlichen sowie personalen Kompetenzen, Reflexionsfähigkeit und damit zum transformativen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft bei.
In den letzten Jahren wurde dieses Potential und die Digitalisierung von Lehr- und Lernformaten verstärkt, sowohl im Rahmen des Qualitätspakts Lehre als auch im Rahmen des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“. So ist unter dem Dach der hochschulischen Weiterbildung ein stetig wachsendes Angebot kleinteiliger, digitalisierter Formate für diverse Alters- und Berufsgruppen zu verzeichnen.
Im Vordergrund steht für uns die Frage, welche Bildungsprobleme wir mit Online-Lehre bzw. mit den digitalen Techniken lösen wollen bzw. sinnvoll lösen können. In der Pandemie musste angesichts der verhängten Kontaktsperren das Präsenzstudium von jetzt auf gleich in ein Fernstudium verwandelt werden. Das resultierende Sommersemester war verständlicher Weise mehr von den Notwendigkeiten als von einem durchdachten hochschuldidaktischen Handlungskonzept geprägt.
Die Präsenz-Hochschulen und ihre Bildungseinrichtungen bieten die reichhaltigsten Lernumgebungen, die wir zur Verfügung haben. Diese gilt es zu erhalten, zu stärken und auszubauen. Dazu gehört sicher auch, dass sie die notwendigen technischen Infrastrukturen bekommen, über eine große Bandbreite an digitalen Kompetenzen verfügen und diese in curricular sinnvolle Blended-Learning Formate umsetzen. Dabei gilt es auch, die digitale Studierfähigkeit systematisch zu fördern, denn diese entsteht nicht von selbst. Wissenschaftliche Weiterbildung – so unsere These – trägt dabei nicht zuletzt zur Förderung personaler Resilienzfaktoren wie Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Problemlösefähigkeit bei.
Das übergeordnete Ziel aus unserer Sicht aber ist es, die Hochschulen zu Institutionen des lebensbegleitenden Lernens auszubauen und die Inklusion unterrepräsentierter Gruppen in akademische Bildung zu gewährleisten. Hilft es dabei, Präsenzphasen mit asynchron studierbaren Lehr-Lernphasen zu kombinieren, umso besser. Hilft es, die Fähigkeit, im Selbststudium eigenverantwortlich zu lernen, zu stärken, wunderbar! Entscheidend für die (Weiter-)Entwicklung kritisch/kreativ/innovativ denkender und handelnder Personen sind und bleiben Wissensaustausch, Theorie-Praxistransfer und daraus entstehende Diskurse in realen Lernwelten.
Dr. Burkhard Lehmann, Jan Ihwe, Dr. Silke Vergara und Prof. Dr. Gabriele Vierzigmann für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium e. V.
16. Juni 2020 10:50 Kommentar von Martin Braun
Besten Dank für die fachkundige Orientierung, die die innovationspolitischen Leitlinien des Hightech-Forums vermitteln. Erlauben Sie mir einige ergänzende Hinweise:
Forschung und Praxis zeigen, dass die Wirksamkeit sozio-ökonomischer Transformationen ganz wesentlich von der Einsicht, Bereitschaft und Fähigkeit der beteiligten Menschen geprägt wird. Insofern sind die Empfehlungen des Hightech-Forums, die gleichermaßen die individuelle Bildung und Eigenverantwortung, als auch eine gesellschaftliche Identifikation adressieren, zu begrüßen. Dieser humanzentrierte Ansatz wäre im Folgenden hinsichtlich seiner Paradigmen (z. B. Resilienz, Nachhaltigkeit), mentalen Konzepte, (Infra-) Strukturen und Prozesse zu konkretisieren.
Ein derart umfassendes Innovationsvorhaben bedarf eines interdisziplinären Ansatzes, wie ihn die Arbeitswissenschaft verfolgt. Mit ihrer Kerndefinition hat die Arbeitswissenschaft bereits im Jahre 1987 Kriterien u. a. der Motivations- und Lernförderlichkeit sowie der Sozialverträglichkeit für eine sozio-technische Systemgestaltung formuliert. Diese Vorarbeiten sind für den Fortschritt der Arbeitsgesellschaft nach wie vor bedeutsam. Sie sind Grundlage für umfassende Modelle, die naturwissenschaftliche, soziale und ökonomische Kriterien verbinden. Im Lichte der Präventions- und Nachhaltigkeitsdebatte infolge Corona wären die arbeitswissenschaftlichen Konzepte allerdings zu aktualisieren.
12. Juni 2020 15:13 Kommentar von Reinhard Messerschmidt/ WBGU
Angesichts grundsätzlich progressiver Ausrichtung des Papiers in Richtung Transformation zur Nachhaltigkeit bei gesteigerter Resilienz und kritischer Reflexion eines verengten, externalisierenden Wachstumsbegriffs erscheint der Abschnitt zur DSGVO im Hinblick auf einen konsequent wertebasierten europäischen Ansatz (siehe https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/pp11-2019 bzw. https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/unsere-gemeinsame-digitale-zukunft) momentan leider stark inkohärent. Entgegen dem dortigen Narrativ als Innovationshemmnis und im Einklang mit vielen Wortmeldungen aus der Tech-Community (dazu exemplarisch: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Kommentar-It-s-the-Infrastructure-stupid-Digitale-Grundversorgung-jetzt-4719659.html oder https://www.heise.de/news/Informatiker-Die-Corona-App-ist-wie-ein-trojanisches-Pferd-4764560.html) würde ich für eine umgekehrte Argumentation plädieren, die sich wie folgt formulieren ließe und auch zu aktuellen ÖFIT-Publikationen (https://www.oeffentliche-it.de/publikationen?doc=113399&title=Der+Staat+auf+dem+Weg+zur+Plattform sowie https://www.oeffentliche-it.de/publikationen?doc=119321&title=Public+Money+Public+Code+-+Modernisierung+der+%C3%B6ffentlichen+Infrastruktur+mit+Freier+Software) passt:
„Als in der Praxis belastend und grundsätzlich nicht nur in der öffentlichen Verwaltung hinderlich hat sich der Mangel an DSGVO-konformen Open-Source-Lösungen einer öffentlichen IT-Basisinfrastruktur (für Homeoffice, Fernunterricht, Videokonferenzen etc.) erwiesen – hier besteht dringender Nachholbedarf, um dem bereits in EU-Digitalstrategie, Datenstrategie und KI-Weißbuch zentral verankerten Datenschutz als Kernelement eines europäischen Wegs nachhaltiger Digitalisierung gerecht zu werden.“